Transkription - 23.11.2020

Schumann Forum-Gesprächskonzert mit Ottavia Maria Maceratini und Ulrich Bumann

Ulrich Bumann
Guten Abend meine Damen und Herren, auch von uns Beiden ein herzliches Willkommen zu diesem durchaus besonderen Abend schon von der Atmosphäre her und auch von den Umständen die ihn so haben werden lassen, wie er nun sein wird. Und ja, Maria Maceratini trägt ihre Herkunft ja schon im Namen, sie kommt aus der Provinz Macerata, ganz genau aus Recanati, das liegt so 10 Kilometer von der Adria-Küste weg, ein bisschen südlicher ist Ancona oder?

=== Frau Maceratini nickt zustimmend ===

Ja, genau und Recanati hat neben Frau Maceratini einen weiteren sehr großen Künstler, Opernfreunde unter Ihnen kennen ihn mit Sicherheit, das ist Beniamino Gigli, einer der ganz großen Tenöre im zwanzigsten Jahrhundert und der legitime Nachfolger von Caruso. Wir wollen nicht über das Singen reden, vielleicht auch ein bisschen, aber Ottavia Maria, Sie sind jemand, der sich gern auch in den sozialen Medien umtut, der auf Facebook sehr präsent ist, Sie lassen uns teilhaben gelegentlich an ihren Gedanken, Überlegungen und Gefühlen. Aus der letzten Zeit sind mir zwei Bilder aufgefallen, einmal eines mit Ihnen, da tragen sie ein T-Shirt „Italia“ und das andere ist eine grafische Darstellung, da wird Italien, der Umriss von Italien sozusagen, wie ein Baby von einer Ärztin getragen oder beschützt. Das führt uns direkt zur Pandemie, wirklich auch zur Frage, wie hat diese Krise, die ja weitaus länger in Italien gedauert hat und die in Deutschland das Bild von der Corona Epidemie geprägt hat - sie alle werden sich erinnern an die Bilder aus Bergamo, überfüllte Krankenhäuser, die abtransportierten Toten. Also Italien war wohl das Land, das für Deutschland quasi die Schrecknisse dieser Pandemie vorgeprägt hat. Wie haben Sie das über diesen langen Zeitraum als Künstlerin erfahren?

Ottavia Maria Maceratini
Das ist natürlich eine sehr ungewöhnliche Situation für uns alle, ganz unabhängig, wo wir das jeweils erlebt haben, glaube ich, weil heutzutage sind wir ja gar nicht mehr gewohnt, dass plötzlich auf einmal bestimmte Freiheiten nicht mehr so selbstverständlich sind. Und deswegen ist es natürlich immer eine Art Trauma, wenn man plötzlich merkt, dass es eigentlich nichts gibt, was so selbstverständlich ist. Man sagt ja vieles über die Pandemie und ich bin keine Expertin und will gar nicht beurteilen, wie schlimm das gewesen ist […] jedenfalls, was ich sagen kann, ist einfach die Erfahrung, die wir gehabt haben, vor allem in den ersten Wochen, weil in meiner Familie gibt es auch viele Menschen, unter anderem meine Tante, meine Mama und Cousin, die entweder in der Apotheke arbeiten oder in Krankenhäusern und natürlich, sie waren schon überwältigt am Anfang, allein deswegen, weil es in den Krankenhäusern nicht so viele Plätze gibt und natürlich haben sie unter sehr stressigen Umständen gearbeitet und natürlich habe ich das einfach so in meiner Familie erlebt, dass es Ungewissheit und Unsicherheit gab […] Immerhin, ich habe immer gedacht, dass es nichts gibt, was uns geschieht, sondern es gibt immer etwas, was für uns geschieht und das war für mich deswegen eine gute Gelegenheit, bestimmte Prinzipien dann in Anwendung zu bringen, bestimmte Sachen, an die ich glaube. Deswegen habe ich dann die Zeit richtig gut genutzt und ich habe mich darauf eingestellt, dass wenn diese äußerliche Freiheit mir gefehlt hat, dann hatte ich immerhin eine innerliche Freiheit, also die Freiheit, zu meinem Besten zu leben: Und dann habe ich sozusagen viel „Schattenarbeit“ gemacht - das nehme ich von Carl Gustav Jung, das ist einer von den ersten, die von Schatten sprachen. Es ist völlig klar, dass wenn so etwas passiert, das erste was auf die Oberfläche kommt sind die die negativen Gefühle, die so genannten negativen Gefühle und Emotionen, und wenn man sich damit auseinander setzt, dann können sie wunderbar verwandelt werden.

Ulrich Bumann
Aber es ist ja auch so, dass diese Pandemie durchaus auch zu Existenzfragen für Künstler geführt hat, also von einem Tag zum anderen sind die Auftritte weggebrochen...

Ottavia Maria Maceratini
Ja.

Ulrich Bumann
...es gab keine Möglichkeiten mehr. Gab es da eigentlich in Italien staatliche Hilfen für Künstler ?

Ottavia Maria Maceratini
Es gibt keine staatliche Hilfe.

Ulrich Bumann
Null?!

Ottavia Maria Maceratini
NUll. Oder so gut wie null, also es gibt wenig und dieses wenig ist fast unmöglich, es wirklich zu bekommen. Natürlich, das. was zu großen Debatten geführt hat, war ein bisschen auch die Tatsache, dass auch nach Monaten noch, wo viele Berufe erwähnt wurden, [deren Ausübung unmöglich war], Sportler angesprochen und die Menschen, die zum Beispiel die Sportler massieren und viele andere, aber es gab kein einziges Wort für Künstler und das hat natürlich zu großen Debatten geführt, weil das hat irgendwie bedeutet, dass diese Kategorie nicht wirklich existiert oder nicht wirklich...

Ulrich Bumann
Nicht systemrelevant ist, wie wir sagen.

Ottavia Maria Maceratini
... einen Wert hat. Ja. Was mich persönlich betrifft, also da sind schon sehr viele Auftritte weggefallen! Vor allem hatte ich mich gefreut auf ein Theaterstück, das ich geschrieben habe. Ich hatte die Möglichkeit, das zu präsentieren in einem Theater am 7. März und zwei Tage davor ist einfach alles ausgefallen. Dennoch muss ich sagen, ich bin schon gut mit dieser Situation umgegangen, weil ich betrachte Kunst... Kunst ist natürlich auch ein Beruf, aber ich tue das nicht in erster Linie wegen Geld, ansonsten würde ich mich auch nicht so bewegen, wie ich mich bewege, ich tue es aus Hingabe, weil ich davon überzeugt bin, dass Kunst einfach ein Heilungsmittel sein kann, eine heilende Kraft in der Gesellschaft und auch für das Individuum: Deswegen habe ich [die Situation] einfach akzeptiert. Als Künstler ist man sowieso daran gewohnt, sich in der Unsicherheit zu bewegen. Allein, wenn man ein Stück spielt, jedes Mal ist es anders, in jedem Konzert, also es ist einfach...es ist eine Übung in dieser Kapitulation würde ich sagen, auf englisch sagt man surrendering. Annahme oder Akzeptanz, die natürlich keine Resignation ist! Ess gibt einen großen Unterschied zwischen diesen zwei Begriffen, aber das Leben so annehmen, wie es gerade kommt.

Ulrich Bumann
Viele Künstler haben ja in dieser Zeit digitale Möglichkeiten gesucht oder digitalen Ersatz gefunden für das Konzert, also der berühmteste in Deutschland ist wahrscheinlich Igor Levit, der alle 32 Beethoven-Sonaten, jeden Abend also eine andere Sonate für sein Publikum gespielt hat, für sein imaginäres oder vorgestelltes Publikum. Ist das für Sie überhaupt ein Ersatz für das Konzert oder braucht nicht der Auftritt eines Künstlers die Atmosphäre mit Publikum oder das Gespür für Publikum oder dieses gegenseitige Geben und Nehmen oder wie man das nennen will.

Ottavia Maria Maceratini
Ja, also ich glaube, es beantwortet sich fast von selbst. Es ist völlig klar, wenn es Möglichkeiten gibt, dann ist es auch gut, sie irgendwie zu nutzen, gerade in Zeiten von Not. Allerdings gibt es viele Gründe, warum wir ins Konzert gehen. Das ist für auch für mich , wenn ich selbst in ein Konzert gehe, eine Art Pilgerschaft, also die Tatsache, dass man überhaupt sich ins Auto setzt oder zu Fuß geht oder sich zu einem anderen Ort bewegt, dass man also Zeit investiert, also das ist ein Prozess. Ein Prozess, der nicht nur dann auf der Bühne stattfindet, er findet auf verschiedenen Ebenen statt und natürlich gibt es Sachen, die sich schlicht einfach nur durch die Präsenz übertragen und nicht... - und das ist sehr schwierig – durch einen Bildschirm so wirklich vermittelt werden können.

Ulrich Bumann
Sie haben es vorhin schon angesprochen, Sie haben das in einem Beitrag auch gesagt oder geschrieben, ich glaube an die heilende Kraft der Musik.

Ottavia Maria Maceratini
Ja.

Ulrich Bumann
Ist das jetzt vielleicht ein bisschen einfach gesehen, Musik, heilende Kraft als Narkotikum, Rauschmittel oder Entspannung oder steckt da mehr dahinter?

Ottavia Maria Maceratini
Ja, natürlich steckt sehr viel mehr dahinter. Es kommt darauf an, es kommt letztendlich auf die Aufmerksamkeit an, mit der man etwas zuhört und die Art von Bewusstsein, die man einsetzt, wenn man sich mit Musik beschäftigt. Also ich gebe ein paar kleine Beispiele... Musik funktioniert wunderbar in Supermärkten oder funktioniert wunderbar in Fitnessräumen, wo sie einen einen Doping-Effekt hat und sie ist etwas, das man so im Hintergrund hört und das kann zu einer gewissen Befriedigung führen. Das ist eine Art Gebrauch auch, die man von Musik macht. Und in dem Sinne ist sie sicherlich nicht heilend, so wie ich das meine. Aber, wenn plötzlich die Musik als Spiegel benutzt werden kann, also als Spiegel für die eigenen inneren Prozesse, als Spiegel, der mir dazu dient, zu erkennen, was in mir stattfindet. Unsere inneren Welten sind natürlich nicht unbedingt einfach, das heißt sie sind eigentlich unsichtbar und dennoch sind sie sehr konkret. Die wichtigsten Entscheidungen in unserem Leben basieren auf unsichtbaren Elementen - auf Gefühlen, auf Gedanken. Also die sind unsichtbar, aber die sind unglaublich wichtig und manchmal kann die Musik uns helfen, mehr Bewusstheit über diese Dinge zu erlangen, zum Beispiel auch durch einen besseren Wortschatz, was ich sehr wichtig finde. Also das heißt, auch sich über Musik unterhalten finde ich eine sehr wichtige Tätigkeit, weil, was man zum Beispiel heute bei jungen Leuten oft merkt, ist, dass sie es nicht schaffen, in Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu kommen, allein deswegen, weil ihnen die Worte fehlen. Sie wissen nicht, wie sie das ausdrücken sollen, was sie fühlen. Insofern, wenn man sich auf dieser Ebene mit der Musik beschäftigt, sie als ein Wachstumsmittel begreift, um auch emotional zu reifen, da finde ich, dass es in der Musik ein großes Potenzial gibt und vieles möglich ist.

Ulrich Bumann
Ich zitiere Sie jetzt noch mal. Wenn es vielleicht irgendwann ein Ende dieser Corona-Zeit gibt, dann - haben sie irgendwie so ungefähr gesagt - , wäre es danach das Schlimmste, wenn sich nichts geändert hat.

Ottavia Maria Maceratini
Ja. Also ja, das ist ein bisschen wie bei Hochzeiten, bei denen man sagt, ja wir hoffen, dass in vielleicht zehn Jahren ihr genauso seid wie heute. Also schrecklich... Man sollte sich wünschen, dass die Menschen reifen, dass die Menschen noch glücklicher werden, dass sie noch erfüllter und innerlich Noch reicher werden und das ist das, was ich mir auch wünsche in dieser Situation! Wie gesagt, da steckt ein unglaublich großes Potenzial, finde ich, und jetzt hängt es von uns ab, wie wir das nutzen und hoffentlich zu einer besseren Gesellschaft führen.

Ulrich Bumann
Sind Sie denn optimistisch?

Ottavia Maria Maceratini
Nein.

Ulrich Bumann
Gut, wir schließen das so.

Ottavia Maria Maceratini
Nein, es steht natürlich alles offen, aber ich sehe auch natürlich Tendenzen, die mir leider nicht gefallen, aber es ist nichts in Stein gemeißelt und deswegen finde ich umso mehr, haben die Künstler jetzt auch eine wichtige Rolle zu spielen.

Ulrich Bumann
Jetzt sind sie wieder in Bonn, in der Musikerstadt mit Schumann und Beethoven. Sind Auftritte in einer solchen Stadt oder Kompositionen von Musikern aus dieser Stadt zu spielen, immer etwas Besonderes?

Ottavia Maria Maceratini
Ja, ich liebe das über alles. Also heute, und da will ich Ingrid noch mal wirklich von Herzen danken, weil für mich jedes Mal, wo ich die Möglichkeit habe, Schumanns Haus hier in Endenich zu besuchen, eine Ehre für mich ist. Es gibt auch eine Art Wissen, das nicht unbedingt über die Worte übertragen wird, es überträgt sich durch Präsenz, über Energiefelder und gerade in diesen Räumen, in denen Schumann die letzten Tage seines Lebens verbracht hat, empfinde ich eine gewisse Präsenz, die so voll Zärtlichkeit und Innigkeit ist. Das ist für mich eine einzige Lehre über die Liebe. Und ich glaube heutzutage haben wir viel [...] zu lernen von dieser Zeit, von der Romantik. Wir haben uns gerade gestern darüber unterhalten, wie wichtig diese Zeit der Romantik ist und wie falsch heute vielfach Romantik verstanden wird. Zwischen Kopf und Herz ist es eine kurze Strecke, aber es ist ein langer Weg. Es ist manchmal wirklich schwierig, sich „ins Herz fallen zu lassen“, aber durch die Corona-Zeit haben wir, glaube ich, eine große Möglichkeit, weil... Was ich auch gerade in Bayreuth formuliert habe, es gibt dieses Wort, dieses Begriff, der sehr in Mode ist seit einigen Jahrzehnten – den Begriff „cool“ und „Coolness“. Man sagt „cool“ zu etwas was wünschenswert ist. „Uncool“ hat viele Bedeutungen. Aber „cool“ bedeutet meistens Distanziertheit, Dickfelligkeit, also etwas wirklichl wichtiges […] in einer Leistungsgesellschaft. Und es ist tatsächlich wichtig, weil es ein Schutzmechanismus ist, der [...] für eine kurze Weile vielleicht nützlich sein kann, aber auf Dauer führt er einfach zu Leiden und deswegen hoffe ich, dass ein anderer Begriff in die Mode kommt, also anstatt Coolness oder cool „Sehnsucht“, also jenen Begriff, den wir aus der Romantik kennen, also die Sehnsucht […] im Sinne von einem ganz tiefen Fühlen, einem Wiederfinden des eigenen Herzens, weil die Sehnsucht, obwohl sie sich manchmal schmerzlich anfühlt, […] uns immer in eine ganz wichtige Richtung weist. Eine Richtung, die wir vielleicht momentan aus den Augen verloren haben, und wie der Sufi-Mystiker und Dichter Rumi sagt, die Schmerzen sind Boten, höre auf sie! Also die Sehnsucht ist manchmal schmerzhaft, aber es ist sehr wichtig, wirklich hin zu hören, weil wir können davon sehr viel Wertvolles bekommen.

Ulrich Bumann
Das was Sie heute Abend spielen werden, ist ja dann auch vorzugsweise Romantik...

Ottavia Maria Maceratini
Genau. /*17:09*/

Ulrich Bumann
Selbst mit Beethovens Mondschein-Sonate also...

Ottavia Maria Maceratini
Ja.

Ulrich Bumann
Und es kreist, wenn ich das richtig verstanden habe, so ein bisschen um den Begriff Fantasie?

Ottavia Maria Maceratini
Ja!

Ulrich Bumann
Ist das so?

Ottavia Maria Maceratini
Ja. [Das erste und das letzte Stück tragen den Begriff schon im Namen], also die Sonate quasi una Fantasia von Beethoven und auch das letzte Stück von Liszt Fantasia quasi Sonata, das Stück, das von der göttlichen Komödie von Dante inspiriert worden ist, wo man durch verschiedene Zustände geht. Das ist ganz klar dargestellt von Liszt, von der Hölle zum Himmel, das ganze Spektrum ist dargestellt und wir sind eingeladen, alles zu fühlen.

Ulrich Bumann
Ok. Für uns beide vielleicht. Also von Liszt gibt es die nach Dantes [berühmte Vorlage] geschaffene Sonate, seine Dante Fantasie. Es geht speziell um das Inferno. Es beginnt also mit dem Weg in die Hölle mit dem berühmten „Lasst alle Hoffnung fahren“, dann gibt es wirklich […] die Klageschreie der Verdammten, die zu hören sind, [dann] beruhigt sich die Musik beruhigt etwas, greift Themen der Liebe auf und am Ende hat sie sogar fast etwas Verklärendes, so ein klein wenig, und die Schlusszeilen aus Dantes Inferno - muss ich ablesen, ich kann sie nicht auswendig - lauten so: „Und da blickte durch der Felsschlucht obere Rundung das schöne Himmel mir aus heiterer Ferne und eilig stiegen wir aus enger Mündung und traten vor zum Wiedersehen der Sterne.“ Das ist ganz viel Optimismus, der da letztlich dahinter steckt. Insofern können wir vielleicht das Gespräch hier beenden mit einem einigermaßen optimistischen Ausblick...

Ottavia Maria Maceratini
Ja, auf jeden Fall. [...] Mit der Einladung wie gesagt, selbst unsere eigene Verletzlichkeit als Geschenk anzusehen und, ich zitiere nochmal Rumi, weil Es mir so gefällt: Er sagt, dass die Wunde der Ort ist, durch den dann das Licht herein kommen kann.

Ulrich Bumann
Danke für das Gespräch.

Ottavia Maria Maceratini
Danke.

=== APPLAUS ===
=== ab 19:44 Musik ===