Lieben Sie Schumann?

Luisa Imorde im Gespräch mit Ulrich Bumann über Robert Schumann und ihre Debut-CD „Zirkustänze*

Schumann-Forum-Veranstaltung am 10. Mai 2016 im Schumannhaus Bonn


* Leicht gekürzte Mitschrift des Gesprächs, als Video auf YouTube eingestellt: https://www.youtube.com/. Die Textübertragung übernahm Eve Nipper, Firma Pergamon interactive, das Lektorat Ingrid Bodsch. In [ ] gesetzte Angaben wurden nachträglich von Ingrid Bodsch eingefügt. [...] bezeichnen eine Auslassung im Text. ... bedeuten eine signifikante Pause im Gespräch. (I.B.)


B: Guten Abend meine Damen und Herren. [...] Es ist ein richtiger Premierenabend, zum einen ist es die erste CD von Lusia Imorde und zum zweiten ist es die erste Einspielung der Zirkustänze von Jörg Widmann. Für Luisa Imorde ist das hier jetzt sozusagen so etwas wie ein Heimspiel. Sie ist dem Schumannhaus und dem Schumannfest seit vielen Jahren verbunden, kennt diesen Flügel richtig gut, ist auch, glaube ich, zufrieden mit ihm. Können Sie sich noch erinnern, wann das hier losgegangen ist, in ihrer Karriere mit dem Schumannhaus und das erste Konzert hier?

Luisa Imorde und Ulrich Bumann im Gespräch am 10. Mai 2016 im Schumannhaus Bonn (Foto: Meike Böschemeyer)

I: Ich kann mich auf jeden Fall daran erinnern, dass ich damals sehr ehrfürchtig das Haus betreten habe und es muss so etwa 2008 gewesen sein, beim Schumannfest.

B: Und was haben Sie da gespielt? Noch irgendwas im Kopf?

I. Auf jeden Fall auch Schumann und zwar die erste Sonate.

B: Jetzt haben wir es hier mit einer ganz neuen Einspielung zu tun, die sich Zirkustänze nennt. Zirkus, Frau Imorde. Mögen Sie Zirkus?

I: Natürlich mag ich Zirkus. Schon als Kind hat mich der Zirkus eigentlich fasziniert. Ich habe selbst einen Zirkus aufgeführt mit meiner besten Freundin und meiner Schwester damals, als ich noch kleiner war. Ja, also was mich am Zirkus fasziniert ist eigentlich, dass man nie vorher weiß, was kommt. Also man geht in den Zirkus und hat kein Programmheft, man weiß nicht, man sieht Oper so und so oder man hört mit Konzert mit den und den Leuten, sondern alles ist neu und man weiß es nicht. Die Überraschung hat eben auch viel mit dieser CD jetzt zu tun.

B: Sie sind in der Vorbereitung dieser CD, das habe ich also gelesen oder auch von Ihnen gehört, eigens einmal in den Zirkus gegangen und haben sich mit Herrn Paul von Roncalli getroffen ...

I: Ja, ich hab ihn damals ihn Wien getroffen noch vor der Aufnahme, den Bernhard Paul. Das war eine ganz tolle Erfahrung eigentlich, weil er ist so ein. ... ja, er ist so ein Kämpfer. Er kämpft so sehr für die Qualität und er weiß genau, was er will und tut alles dafür, dass das so klappen kann. Und das finde ich ganz wichtig auch in der Musik. Ja und des Weiteren habe ich natürlich alle Fotos für die CD im Zirkus Roncalli aufgenommen, weil, ja, die Idee kam zu mir und ich war begeistert und dachte mir, ja, gut, wenn die CD schon Zirkustänze heißt, warum dann nicht wirklich mit Zirkusfotos und allem auch die CD ... verschönern.

B: Zirkus ist ja nicht ganz ungefährlich. Es hat immer auch die Möglichkeit des Absturzes oder man ist auf etwas unsicheren Terrain. Könnte man das so mit dem Status eines Musikers, eines Hochleistungsmusikers vergleichen?

I: Ja, lustigerweise sprach ich genau mit Jörg Widmann auch darüber und uns ist Beiden ganz bewusst, dass es genau so ist wie im Zirkus, wenn man auf dem Hochseil steht und da jederzeit runterfallen kann. So ähnlich ist es bei uns im Konzert, weil wir haben nur eine Chance, wir haben kein Netz und keinen doppelten Boden, wir spielen genau auf die Uhrzeit genau, pünktlich starten wir. Ob es uns nun gut geht oder nicht wird nicht gefragt, interessiert auch nicht. Ja und für uns ist ganz wichtig, dass wir da alle Konzentration und auch alle Emotion zusammen suchen und bündeln und in dem Moment das auch alles abrufen können. Das ist ähnlich wie im Zirkus würde ich sagen.

B: Sie haben vorhin gesagt, dass man im Zirkus nie genau weiß, was als nächstes kommt oder so. Das geht Ihnen [liebes Publikum] wahrscheinlich jetzt hier genau so, weil Sie kein Programmheft in den Händen haben für heute Abend und deshalb will ich da mal kurz versuchen, a) diese CD zu umreißen und b) Ihnen zu sagen, wie es heute Abend der Reihe nach geht. Wir werden uns ein bisschen unterhalten dann über die CD, die die meisten von Ihnen ja nun wirklich nicht kennen und wir reden gleich über Stücke, die Sie auch noch nie gehört haben. Auch für Sie wird das ja eine Premiere sein. Also insofern versuchen wir hier gemeinsam auch ein bisschen was zu erklären. Diese CD hat zwei große Eckstücke, sagen wir mal. Das sind von Schumann die Papillons, die Schmetterlinge, also eine Sammlung von Charakterstücken, wie auch immer man das nennen mag und am Ende stehen die Zirkustänze von Jörg Widmann. Das ist eine Suite für Klavier. Diese beiden Eckstücke, Anfang und Ende dieser CD, also die große Klammer, die werden Sie auch im Anschluss an dieses Gespräch hören. Und wir werden nachher, damit Sie, glaube ich, die Zirkustänze ein bisschen verstehen, auch ein bisschen von den Sätzen verraten, die da nacheinander kommen. Es sind nämlich insgesamt elf und im Fall dieser Zirkustänze macht es schon Spaß, wenn man weiss, um was es sich handelt. Man kann das zwar auch erahnen, aber es ist nicht schlecht, wenn man so ungefähr eine Vorstellung hat. Zwischendrin kommt etwas ganz apartes, da gibt es die Elf Humoresken von Jörg Widmann wiederum. Wer von Ihnen die Humoreske op. 20 von Schumann kennt, weiß, dass der Titel Humoreske mit Schumann eng verbunden ist und Widmann bezieht sich in der Komposition natürlich auch auf Schumann. Das geht soweit, dass er in seinen Titeln Schumann-Titel aufführt, wie „Fast zu ernst“ oder „Lebhaft“ oder so und diese Humoresken hat Luisa Imorde in der CD durchbrochen, unterbrochen mit einzelnen Stücken von Schumann aus den ganz verschiedensten Bereichen. Aus den Kinderszenen, aus den Fantasiestücken, aus den Davidsbündlertänzen. Wenn Sie die hören, werden Sie vielleicht merken, wenn Sie die später auf der CD hören, wie gut das miteinander spielt, wie sich das aufeinander bezieht. Es ist immer sehr schwierig, was ich jetzt hier mache. Wir reden über Musik, die man eigentlich hören müsste, aber nicht alles geht im Leben auf Anhieb. Ich fand also diese Zusammenstellung [...] – ein ausgewiesener Schumann Freund wie Widmann und Robert Schumann und das Ganze {...] unter dem Motto Zirkustänze, aber gleichzeitig auch mit dem Humor, der sich irgendwo überall durchzieht – ungemein spannend. Wer ist denn ... ja, Sie sind auf diese Idee gekommen offenbar. [...] Sie spielen viel Schumann, das ist klar, das wissen wir. Wie stößt man auf Jörg Widmann? Der ist zwar jedermanns Liebling im Musikgeschäft, weil er unheimlich viel macht und gut schreibt – aber trotzdem, wie sind Sie auf ihn gestoßen?

I: Ich bin auf ihn gestoßen in Salzburg bei den Festspielen, das war 2014, wenn ich mich recht erinnere und zwar habe ich da ein fantastisches Konzert mit ihm mit dem Hagen Quartett gehört, wo er Mozart und Brahms‘ Klarinetten-Quintette mit denen gespielt hat und das war wahnsinnig bewegend und berührend, so dass ich dachte ... wow, also wer so die Musik von damals spielen kann, der hat sie so verstanden, dass ich mich eigentlich erst dann auch angefangen habe wirklich mit ihm zu beschäftigen, also mit seinen Kompositionen. Da war die Idee der CD eigentlich noch gar nicht so konkret ...

B: Aber Sie wussten schon, als erste CD, Schumann auf jeden Fall?

I: Ja, das wusste ich nämlich eben schon. Genau. Schumann war schon da und weil er mich einfach seit meiner Kindheit an intensiv begleitet hat und emotional für mich irgendwie sehr, sehr wichtig war und auch immer noch ist natürlich. Aber ich hatte mir auch gleich gedacht, ich möchte nicht zum x-ten Male die ganzen Werke von Schumann wieder einspielen, sondern hab mir gedacht, vielleicht kann man es in ein neues Spannungsfeld bringen, vielleicht kann man einen Dialog entstehen lassen mit der Musik von heute und so auch, ja, die Schumann-Freunde ein bisschen weiter bringen.

B: Und dann haben Sie Widmann gehört ...

I: Ja, dann bin ich schnell auf diese Elf Humoresken von ihm gestoßen, weil dieser Titel für jeden, der mit Schumann ein bisschen was zu tun hat, {beziehungsreich ist], da klingelt es sofort und alle denken, oh Schumann. Und so war es dann auch. Ich habe mir das angehört, habe mir sofort die Noten besorgt und habr das intensiv studiert und mir genau angesehen, die Titel und da war soviel Schumann-Bezug, aber ganz subtil, also gar nicht plakativ ...außer die Titel vielleicht ..., dass ich mir gedacht habe, wow, das fasziniert mich und das berührt mich auch sehr, weil man da auch die Liebe von Widmann zu Schumann deutlich spürt.

B: Als erstes würde man ja denken, ok, dann setzen wir die sieben Abschnitte der Humoreske von Schumann dagegen ...

I: Das war tatsächlich die erste Idee, genau so war es. Aber auch Jörg Widmann selbst sagte, er bezieht sich gar nicht wirklich auf die Humoreske von Schumann und ja, dann dachte ich, ok, das tut er wirklich nicht, sondern er zitiert ganze Titel von Schumann innerhalb des Zyklus und diese Verbindung ist wohl noch stärker als die zu dem titelgebenden Werk Humoreske, ja ... und so kam es dann dazu, dass ich angefangen habe, diese miteinander zu vergleichen, also „Fast zu ernst“ von Widmann mit „Fast zu ernst“ von Schumann zu vergleichen und zu sehen, wie ist das, wie passt das, passt das überhaupt miteinander ...

B: Das ist also dann ihre ganz eigene Kombination sozusagen ...

I: Absolut. Das ist wirklich eine ganz eigene Kombination und ich habe da sehr, sehr lange natürlich dran rumgetüftelt und mir auch ganz genau überlegt, wo welches Stück sein muss. Zum Beispiel: Jörg Widmann hat viele Attaka-Übergänge innerhalb der Humoresken und für mich war es absolut nicht in Ordnung, die zu unterbrechen, also dann dazwischen einen Schumann zu packen, das heißt, ich habe nur einen Schumann eingefügt, wenn er nicht einen Attaka-Übergang zum nächsten Stück wollte. Und dann habe ich festgestellt, dass das total harmonisch passte von der Abfolge, es sind jetzt immer zwei Widmänner und ein Schumann ...[lacht] ... und ja, dann ging es immer so weiter, dass ich auch versucht habe, die Übergänge exakt miteinander zu verbinden. Das die Übergänge von Widmann zu Widmann durch den Schumann dazwischen nicht irgendwie gestört werden, sondern dass das mehr eine Brücke ergibt und habe das natürlich mit Jörg Widmann auch genauer überlegt und geplant am Ende, weil ich wollte ihm da auch nicht ... ja, ziemlich dreist sein Werk auseinander nehmen und das dann auch noch auf CD verewigen, also ...

B: Das interessante an dieser CD ist ja dann, dass man manchmal, wenn man es so hört ohne das „Ding“ [zeigt die CD] in der Hand zu haben, schon nicht ganz genau weiß, ist das jetzt Widmann oder ist das Schumann. Was nicht sagen will, dass der Widmann so klassisch komponiert, aber Widmann wirkt klassischer und Schumann moderner oder so ... das schwingt sich irgendwie ein ...

I: Ja, das ist erstaunlich. Also ich konnte es mir ja nie anhören, wenn man so will, ich hatte keine Aufnahme. Auch nicht von dieser Gegenüberstellung, ich habe es dann einfach gespielt {...] Das war so eine Gefühlssache, einfach zu sehen, kann das funktionieren, kann es das nicht. Aber es war auch sehr spannend bei der Aufnahme dann doch zu sehen, es klappt wirklich.

B: Es gibt geniale Übergänge da zwischen Schumann und Widmann, also verspreche ich Ihnen, wenn Sie es hören – es ist hinreißend. Aber wir sind jetzt immer noch nicht bei den Zirkustänzen, denn hat die Ihnen Widmann empfohlen? Hat er gesagt, spielen Sie doch einfach die oder ...?

I: Exakt war es so, ja. Als ich dann mit Jörg Widmann telefonierte über den Ursprung des Ganzen, hatte ich ihm so die erste Idee mitgeteilt und gesagt, ja, Widmann und Schumann auf jeden Fall als Basis und hatte ihm die Elf Humoresken schon genannt und dann sagte er plötzlich, Mensch, die Zirkustänze. Die liegen mir so am Herzen und die waren für Andras Schiff damals und die sind noch nicht eingespielt, willst Du das nicht machen? Ja und lustigerweise hatte ich die Noten bereits zu Hause und hatte sie mir auch schon angesehen, weil natürlich, wenn man die CD plant und sich schon für Widmann entschieden hat, dann hat man auch das ganze Klavierwerk von Widmann angesehen gehabt. Aber das war ... Ja, die Hilfe bei der Entscheidung, letztendlich auch die Zirkustänze mit auf die CD zu nehmen, war, dass {Jörg Widmann] sagte, mach das doch.

B: Das ist ja jetzt eine Aufnahme, die sozusagen auch ein bisschen mit Begleitung des Komponisten entstanden ist. Ist das ein Vorteil, ist das ein Nachteil? Redet der Ihnen rein? Sagt er, also Luisa, Mensch, so habe ich mir das aber nicht vorgestellt?

I: Ja, also als allererstes war natürlich wirklich viel Respekt und auch Ehrfurcht, eigentlich immer, wenn ich ihn getroffen habe. Aber Jörg Widmann war schon beim allerersten Treffen, wo ich ihm gleich gesagt habe, ich habe es noch nicht viel geübt, ich kann das jetzt ungefähr andeuten, aber sie war einfach noch so frisch die Idee und selbst da hat er es geschafft, eine Freiheit zu lassen und auch ein Vertrauen mir entgegen zu bringen, dass ich nie das Gefühl hatte, er schränkt mich jetzt ein oder er will etwas von mir, was für mich überhaupt nicht ok ist, obwohl das jetzt vielleicht so in den Noten steht. Und als wir dann ins Detail gegangen sind mit den Werken, als ich sie dann natürlich immer besser geübt hatte und mich auch mehr damit beschäftigt hatte, war es ähnlich ... Also ich hatte natürlich versucht, so gut wie möglich alles umzusetzen, was er in die Noten geschrieben hat und das ist sehr viel ...[alle schmunzeln], teilweise in jedem vierten Takt kommt ein Tempowechsel und eine Metronom-Zahl und eine Charakterangabe, so dass man wirklich lange braucht, um erstmal das zu entziffern, was alles in den Noten steht. Ja, aber dann war er echt toll, er hat einfach gesagt, mach das noch mehr und spiel da freier und ich weiß, da steht das so, aber das gefällt mir so, wie du das machst, mach das so und mach das noch mehr ...[lacht]. Es war also sehr anregend, inspirierend.

B: Ja, diese Zirkustänze, die Sie {hier im Publikum] also alle wahrscheinlich in Ihrem Leben noch nicht gehört haben, damit beschäftigen wir uns jetzt ein ganz klein wenig intensiver. Ich fange an mit einer kurzen Beschreibung von Jörg Widmann selbst, der also seine Tänze so beschrieben hat [liest vor]: „Nach meinen dunkel verschatteten Klavier-Intermezzi nun also diese Zirkustänze. Natürlich sind sie vordergründig betrachtet einfacher, heiterer, heller, auch greller, drastischer, verspielter als das Vorgängerwerk und doch geht es mit den Tänzen der Zirkus-Protagonisten um eine einfache, aber tiefe Wahrheit, die darin nämlich auch liegt. Die Gefahr des Seiltänzers abzustürzen, bleibt immer real. Unser kindliches Staunen beim Betrachten ohnehin. Nicht das Staunen ist falsch, sondern dass wir Erwachsenen denken, es nicht zu dürfen. Und die Tränen des traurigen Clowns sind künstlich und doch lebensecht.“ Ja, was Komponisten so sagen. Man hat den Eindruck, das ist so ein leichter Ton von Melancholie, der da auch mitschwingt ...

I: Ja ...

B: Haben Sie das ähnlich empfunden, als Sie dann die Musik gespielt haben?

I: Ja! Der Zyklus Zirkustänze ist sehr bunt, teilweise grell vielleicht sogar, aber auch sehr melancholisch. Es kommen ein paar Stellen drin vor, wo man sich plötzlich zeitlich irgendwo hin zurück versetzt fühlt oder man sich auf dem Jahrmarkt wieder findet, emotional sehr stark.

B: Ich versuche Ihnen, [liebe Zuhörer], die Zirkustänze einmal vorzustellen [nimmt das CD-Booklet]. Das sind also elf kurze Sätze, die reichen von 25 Sekunden bis zu 4 Minuten 20 Sekunden, es sind [...] also alles Miniaturen, sehr kurz. Wir stellen einfach mal ein bisschen die Abfolge vor, damit das Hörvergnügen für Sie gleich größer wird.Es geht los mit Fanfaren, die er offenbar Andras Schiff gewidmet hat...

I: Richtig

B: Mit leicht ungarischem Einschlag ....

I: Richtig. Richtig. Ja.

B: Ganz kurz.

I: Ja, das ist so.

B: Dann gibts einen Boogie-Woogie

I: Das ist dem Ort der Uraufführung, nämlich New York, ein bisschen gewidmet.

B: Witzigerweise hat der Andras Schiff, das wissen Sie wahrscheinlich, die Zirkustänze auch eingebettet, nämlich in Bach Inventionen.

I: Ach, wirklich?

B: Ja, Schiff hat also Bach Inventionen, dann Widmann, Bach Inventionen, Widmann gespielt. Also ganz witzig. Ok, dann gibts einen ersten Walzer und dann 4 Strophen vom Heimweh, einen bayerischen Walzer und einen sentimentalen Walzer. Es folgt ein Kinderreim, ein Karussel-Walzer, der erschließt sich, glaube ich, ganz ganz leicht, nicht wahr?

I: Ja, den erkennt jeder, sofort, ja. [lächelt]

B: [...] Dann folgt, das müssen wir ein bisschen erklären, eine doch sehr melancholische Schwere ... es geht da so ein bisschen vom Zirkus weg, hebräische Melodie, ein venezianisches Gondellied, das wirklich ganz melancholisch versinkt, verschwindet, wie auch immer. Zum Schluss sagen wir gleich noch etwas! Die Zirkustänze sind entstanden, als Jörg Widmann [an] einer ganz großen Arbeit war, an seinem ein Musiktheater-Werk Babylon, das an der Bayerischen Staatsoper in München unter Kent Nagano uraufgeführt wurde, ein Riesen-Werk von dreieinhalb Stunden mit einem unglaublichen Orchester und Chor Apparat. Der hat da also alles bemüht, was auf der Bühne machbar ist. Es geht darin also ganz kurz gesagt eigentlich um den Untergang Babylons [...] Im Grunde aber auch um eine der üblichen Priesterinnen-Geschichte der Oper, eine Liebesgeschichte zwischen einer Priesterin des alten Glaubens [...] und einen Juden im Exil. Das Ganze geht im Gegensatz zu den anderen Priesterinnen-Opern, wie Norma, gut aus. Babylon ist, wenn man das Libretto liest, ein, glaube ich, ziemlich verkopftes Ding von Herrn Sloterdijk, der hat das geschrieben und verquast, wie auch immer. Musikalisch ist es hinreißen! In einer Kritik hieß es zu Jörg Widmann, in seinem Vorgarten bewegen sich Komponisten aus vier Jahrhunderten. Widmann kennt sich stilistisch so rundum gut aus, dass es ein Vergnügen ist.
Gut! Auf diese Oper Babylon nimmt also diese hebräische Melodie [in den Zirkustänzen] wohl Bezug?

Würdigung des Gesprächs im Bonner Generalanzeiger, 12. Juni 2016

I: Ja, ein wenig auf jeden Fall. Und auch das Finale ...

B: Das Finale dann erst recht. Das Finale, das steht hier nämlich, [liest vor] „bayerisch babylonischer Marsch“. [Publikum lacht] Das ist eine Karnevalszene in der Oper und ja, da greift Widmann und dann nachher auch, glaube ich, Luisa Imorde in die Tasten greifen und ordentlich, massig viel Noten bewältigen. Erschrecken Sie nicht, es ist eine Mischung aus dem bayerischen Defiliermarsch und aus den lustigen Holzhackerbub‘n, die man da auch raushören kann. [Luisa Imorde lacht]. Da geht es also richtig zur Sache. Das ist das, was man so ein bisschen als Humor in der Musik bezeichnen könnte. Es ist mit dem Humor in der Musik immer so eine Sache .. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn man ins Konzertpublikum schaut, die Leute lachen meist nicht. Die bleiben todernst. Auch wenn eine lustige Haydn-Symphonie – der Haydn hatte ja ganz viel Witz – oder wenn Beethoven mal richtig derb wird: Es wird wenig gelacht. Hoffen Sie jetzt auf ein paar Lacher, wenn Sie die Zirkustänze spielen?

I: Ja, sicher.[lacht, Publikum lacht auch]. Also ich bin auch ziemlich sicher, dass das funktionieren wird mit den Lachern, weil ich hab die Erfahrung jetzt schon einige Male gemacht mit den Zirkustänzen und sie sind einfach humorvoll, so dass eigentlich immer jemand geschmunzelt hat, zumindest am Schluss.

B: Gut. Wir sind, sollten auch zeitlich limitiert sein, so hat man uns gesagt. Das tun wir auch. Zu Anfang hören Sie gleich von Luisa Imorde die Papillons von Schumann. Das ist auch eine Folge und insofern entspricht es ja ein bisschen den Zirkustänzen von kurzen Szenen, die sich im Falle der Papillons auf einen Maskenball beziehen.

I: Ja. Also sie stellen sozusagen die Klammer der CD dar und passen zum Titel, weil es sind beides Tänze, also eine Abfolge kurzer Tänze von Schumann und Widmann.

B: Bei den Papillons ist es ja so, dass Schumann sich da auf vieles bezieht. Viele sagen, er bezieht sich auf den Roman Flegeljahre von Jean Paul, da gibt es ja auch diese Ballszene. Halten Sie das eigentlich generell bei der Musik für wichtig, dass man sich so richtig gut in Bezügen auskennen muss? Oder man kann es auch so hören?

I: [Ob man es so hören oder so spielen kann?

B: Hören erstmal. Also muss der Hörer ein Kenner sein?

I: Nein, also im Falle dieser CD, nein. Das ist für meinen Geschmack auf jeden Fall etwas, was sich erschließt, wenn man einfach aufmerksam zuhört. Es ist vieles, was emotional ja ineinander greift, was einfach irgendwie stimmig ist. Allerdings finde ich, als Interpret sollte man alle möglichen Bezüge kennen und auch erkennen und das setzt natürlich voraus, dass man die Werke gut kennt. Aber nicht nur die Werke, sondern auch das ganze Drumherum, weil sonst kann man auch einzelne Bezüge zwischen den Werken nicht erkennen. Allerdings, was ich natürlich sehr spannend finde, das war auch ein Hinweis von Jörg Widmann, er meinte, jeder Kenner und jeder, der mehr wissen möchte, kann diese CD nehmen und kann forschen, was, wie, wo passt wie etwas zusammen, und warum, wo sind die Bezüge. Das finde ich auch sehr reizvoll. Das war mir so nicht bewusst, als es entstand, aber es ist jetzt doch auch eine Aufgabe an den Hörer.

B. Also könnte man sagen eine große Entdeckungsreise für den Hörer?

I: Ja, vielleicht ...

B: Ok, wünschen wir Ihnen [liebes Publikum] viel Vergnügen dabei.

Luisa Imorde und Jörg Widmann, Bildausschnitt aus dem Video zur Aufnahme der CD „Zirkustänze“, vgl. www.youtube.com